Heian / Pinan Kata

Im Shotokan Karate gibt es 'heutzutage' fünf Heian Kata. Sie sind die grundlegenden Kata im Shotokan-Ryu.

Die Heian/Pinan Kata gibt es ebenfalls in den Karatestilen Shito-Ryu und Shorin-Ryu. Doch, was ist ihre Bedeutung und wieso gibt es diese fünf grundlegenden Kata?

Itosu Anko, geboren 1831 in Okinawa, ein Schüler des berühmten Karatelehrers Matsumura Sokon, hat diese fünf Heian/Pinan Kata entwickelt.
Die Ursprungsformen dieser Heian/Pinan Kata sind wahrscheinlich die Kata Kanku Dai, Bassai und Jion.

Bereits 1891 hatte die Japanische Armee großes Interesse an dem Karate, welches auf Okinawa gelehrt wurde, denn diejenigen, die Karate trainierten, hatten eine recht gute körperliche Verfassung. Das Problem waren allerdings die veralteten Trainingsmethoden und -strukturen, und die damit einhergehende, sich über Jahre hinziehende Trainingsdauer. Alles zu ineffektiv für eine Armee. Itosu Anko erfuhr von diesen Problemen und beschloss das Karate zu modernisieren.

Die Gesellschaft um die Jahrhundertwende herum begann sich zu verändern, sie wurde aufgeschlossener und moderner, da passten auch die alten Trainingsmethoden und -strukturen des Karate nicht mehr. So kam es, dass das Karate langsam der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, zunächst auf Okinawa selbst, und dann in Japan.

Itosu Anko entwickelte diesbezüglich eine Serie von fünf Kata, die sogenannten 'Pinan' 1-5.

Diese wurden später von Funakoshi Gichin, er war ein Schüler von Itosu Anko, umbenannt in 'Heian' 1-5. Bei der Einführung des Karate in Japan ab ca 1920 hat eine Umbenennung vieler Kata, so auch dieser, in die japanische Sprache statt gefunden.

Itosu Anko hatte mit dieser genialen und damals mutigen Idee das Lernen von Karate für Anfänger neu gestaltet, um ihnen einen strukturierten Zugang zu den höheren Kata zu ermöglichen. Dies wurde von den anderen Meistern des Karate mit Entrüstung begegnet, sie fürchteten um die Weitergabe ihrer geheimen Techniken an die allgemeine Bevölkerung. Sie sahen ihr System von Meister und getreuer Schüler in Gefahr.

Im Jahre 1901 begann Itosu Anko mit dem Unterricht von Karate an der Shuri Jinjo Elementary School. Die Bevölkerung von Okinawa war zunächst geschockt: Karate, eine geheime und tödliche Kampfkunst - das passte nicht an eine öffentliche Schule für Kinder. Doch diese Art, Karate zu unterrichten, wurde akzeptiert. Bereits 1905 wurde es ihm erlaubt, Karate an der First Junior Prefectural High School, und später am Teacher's College von Okinawa zu unterrichten. Das Training der Kampfkunst sollte dabei sowohl der körperlichen als auch der geistigen Erziehung dienen. Karate wurde in den Lehrplan der Schulen auf Okinawa übernommen.

Bedenkt man allerdings, dass diese Heian/Pinan Kata explizit zur Einführung des Karate an Schulen geschaffen wurden und somit keine äußerst gefährlichen Techniken enthalten, so sind diese Kata als 'Kampfsysteme' bezüglich einer wirkungsvollen Selbstverteidigung kritisch zu betrachten.

Der Sinn der Heian/Pinan Kata besteht darin, die fundamentalen Karatetechniken zu üben, da diese die Grundlage für alle höheren Kata darstellen. Man kann fast sagen, die Heian/Pinan Kata haben, im Vergleich zu den anderen Kata und aus ihrem Entstehen heraus, reinen Demonstrationscharakter. Allerdings: Jede Kata ist Kampf, so sollte sie verstanden und ausgeführt werden.

Itosu Anko ist der Wegbereiter für die Verbreitung des Karate in die gesamte Welt.

Alle Heian/Pinan Kata beginnen mit einer sogenannten Abwehrtechnik, was ihren defensiven Charakter betonen soll: Im Karate gibt es keinen ersten Angriff.


Bildergebnis für kanji heian

Kanji:  Pinan / Heian

Das Kanji (Ideogramm) dieser fünf Heian/Pinan Kata existiert gleichermaßen im Japanischen, wie auch im Chinesischen.

Zu Zeiten von Itosu Anko wurde dieses Kanji gemäß der chinesischen Lesart als 'Pinan' ausgesprochen. In Japan ging man aber im Laufe des zunehmenden Nationalismus und als Abgrenzung zu China zur japanischen Lesart 'Heian', ausgesprochen 'Hee-an', über.

Das Kanji, nach japanischer Lesart wird als 'Heian' transkribiert, und bedeutet in etwa 'Frieden und Ruhe' (peace and tranquility), 'friedfertiger Geist' (tranquil mind). Zum einen als Erinnerung an die friedvolle Epoche Japans, aber auch als Verweis, dass der Karateka neben der Technik auch seine Friedfertigkeit schulen soll, es geht um Zen-Buddhismus usw.

Das Kanji, nach Chinesischer Lesart wird als 'Pingan' transkribiert, ist in China ein recht gebräuchliches Wort und bedeutet in etwa 'Mach's gut!' (stay safe), 'Bleibe von der Gefahr verschont!' (be protected from danger); man sagt dies z.B. bei jemandem, der sich auf eine Reise o.ä. begibt, zum Abschied. Es hat in China keinerlei spirituelle Bedeutung.

Die Heian/Pinan Kata zu trainieren bedeutet vielleicht einfach nur, sicher und gut auf der Reise durch das Karate und das Leben zu kommen.


Interessant sind die Ähnlichkeiten der Kata Heian Nidan und Heian Yondan, sie stimmen in Schrittdiagramm und Dynamik fast überein. Die Kata Heian Sandan und Heian Godan ähneln sich etwas. Die Kata Heian Shodan ist eine Reduktion auf das Wesentliche. Gemeinsam ist, dass man in jeder dieser Kata nur einmal vor und wieder zurück geht. Jede dieser Kata hat besondere Übungsschwerpunkte, in wieweit aber ein tieferer Sinn in jeder dieser Kata zu finden sein mag, möge ein jeder für sich entscheiden.

Die Tatsache, dass es fünf Heian Kata gibt, lässt sich wie folgt erklären:
Wahrscheinlich sind zuerst die vier Kata Heian Nidan, Sandan, Yondan und Godan entstanden, und die Kata Heian Shodan (auch Pinan Nidan) wurde als fünfte Form hinzugefügt. Diese wurde in der Anfangszeit als letzte der fünf Kata gelehrt; die Reihenfolge änderte sich aber im Laufe der Jahre dahingehend, dass sie heutzutage im Shotkan Karate als erste der fünf Kata gelehrt wird.
Im Japanischen und Chinesischen bedeutet das Wort 'shi' nicht nur die Zahl 4, sondern auch 'Tod', was, besonders im Asien, immer ein Unbehagen bei der Verwendung von 'shi' auslöst. Die Zahl 5 ist dagegen sehr positiv belegt.

Viele mystisch-philosophische Strömungen Asiens und auch Europas basieren ebenfalls oftmals auf der Zahl 5.

Alle Erscheinungen des Daseins lassen sich auf die fünf Grundbausteine Erde, Wasser, Feuer, Wind und Luft zurückführen.

Zwei Beispiele seien hier genannt:

Der Mensch selbst, als biologisches Wesen, kann diesen Elementen zugeordnet werden:

  • Erde: feste Körperteile, wie Knochen und Gewebe
  • Wasser: Blut- und Körperflüssigkeiten
  • Feuer: Stoffwechselprozesse, wie das Verbrennen von Kalorien
  • Wind: Atmung und Gasaustausch
  • Leere: Bewusstsein, geistig-seelische Prozesse

Die Kampfstile Chinas und auch des Klosters Shaolin umfassen die folgenden fünf klassischen Tierstile:

  • Drache (<-Erde) fest und unnachgiebig - festigend
  • Schlange (<-Wasser) rund und fließend - auflösend
  • Kranich (<-Metall) Gleichgewicht - härtend
  • Tiger (<-Holz) direkt und stark - wachsend
  • Leopard (<-Feuer) direkt und schnell - verdampfend.

Das Karate wird von allen Tierstilen beeinflusst, wird aber von Kranich und Tiger dominiert.

Der Drache trainiert das Konzentrationsvermögen und die Sehkraft, er ist gewandt, flexibel und unberechenbar. Der Drache verheißt in China Glück.
Der Tiger trainiert die Knochen, seine Bewegungen sind geschmeidig und kraftvoll.
Der Leopard trainiert die Muskeln; das dient der Schnelligkeit, Beweglichkeit und Sprungkraft.
Der Kranich trainiert seine Sehnen, er ist flexibel und schnell und nutzt beim Angriff die Konzentrationsschwäche seines Gegners.
Die Schlange ist das Symbol für Atmung und Vitalität des Menschen. Ihre Bewegungen sind weich und flexibel.


Ab 1920 wurde Karate dann auch offiziell in Japan gelehrt.
Der in Okinawa geborene Funakoshi Gichin zog nach Japan und widmete den Rest seines Lebens der Verbreitung des Karate-Do. Funakoshi Gichin gilt als der Urheber des Shotokan Karate.

In Deutschland begann die Verbreitung des Karate ab ungefähr 1950.